Freitag, 1. Juli 2011

Bedrängnis

Ich fahre Auto seit fünfzehn Jahren, Taxi seit neun Jahren und Omnibus seit knapp acht Jahren. Angst hatte ich dabei bislang in noch keiner Situation im Straßenverkehr. Bis gestern. Da ging mir, wie man so schön sagt, der Arsch auf Grundeis (und das bei hochsommerlichen Temperaturen...).

Eine Gruppe von gut zwanzig Seniorinnen und Senioren machte einen Schwarzwald-Ausflug mit dem Bus. Den hatten die Damen und Herren bei uns gemietet und so wurde ich deren Fahrer.

Die Stadt verlassen wir in Richtung Autobahn. Für Ortsunkundige: das ist eine Bundesstraße mit zwei Spuren je Richtung, ab Ortsende zunächst auf 80 km/h beschränkt, danach auf 100 km/h, und bis kurz vor dem Autobahnkreuz ist das Überholen für Lkw, Bus und Fahrtzeuge mit Anhänger verboten - die Überholspur ist nämlich deutlich enger als normal, da die Straße in den 1990er-Jahren nachträglich eine Trennmauer zwischen den Fahrtrichtungen bekommen hat.

Ich biege also auf diese Schnellstraße ein, als alles frei ist, und beschleunige. Dazu ist anzumerken, dass der Dreißigsitzer durchaus rasch aus dem Stand beschleunigt. Als ich schon gute 40 Stundenkilometer schnell fahre, kommt von hinten ein Sattelzug angerast. Ich weiß, dass es fast unmöglich ist, die Geschwindigkeit anderer Fahrzeuge zu schätzen, aber sicher war, dass der Fahrer die dort noch geltenden maximalen 50 km/h erheblich überschritten hat, sonst hätte er sich nicht so schnell annähern können. Na ja, vielleicht liefert gute Mann Eilgut.

Was dann geschah, habe ich so gottlob noch nie erlebt: anstatt den Fuß vom Gas zu nehmen, fuhr der LKW-Fahrer mittig über die Leitlinie, blockierte also beide Spuren, fuhr mir auf etwa 3 Meter Abstand dicht auf (durch den Schatten der Fahrzeuge, den die Sonne warf, kann ich das recht gut abschätzen) und orgelte an seiner Lichthupe herum. Wohlgemerkt: ich fuhr rechts, dass es links schmal zugeht, ist nicht meine Schuld (ich habe die Mauer schließlich nicht gebaut) und schneller fahren konnte ich auch nicht, da vor mir ein Pkw unterwegs war.

Hundert Meter später (das erlaubte Tempo ist hier bereits 80 km/h, der Pkw vor mir und ich fuhren laut meinem Digitacho knapp über 75 km/h, schlichen also nicht übermäßig langsam) wird die linke Spur noch etwas enger, da die Straße hier über eine Brücke geführt wird. Der Fahrer des LKW muss es wirklich brandeilig haben, denn er setzt hier - an der engsten Stelle - zum Überholen an. Da man als Klügerer gelegentlich nachgeben sollte, bin ich auf meiner Spur so weit nach rechts wie möglich gezogen, soll er halt überholen, auch wenn ich es für recht rücksichtslos an dieser Stelle halte.

Was den König der Schnellstraße angetrieben hat, weiß ich ehrlich nicht. Als er mit seiner Fahrerkabine etwa auf Höhe der Mitte meines Passagierraumes angekommen war, fing er an, zu hupen, zu gestikulieren und allerhand obszöne Gesten zu vollführen. Als er fast auf meiner Höhe angekommen ist, fängt er, der er vorher schnurgerade fuhr, an, nach links und rechts zu schlingern und zwang mich so, noch weiter nach rechts zu ziehen. Ich denke nicht, dass ich noch fünf Zentimeter Platz zur Leitplanke hatte.

Meine Fahrgäste fühlten sich unwohl, und ich ebenso. Um nicht zu sagen: ich hatte Angst. Nicht die Angst vor einem Auffahrunfall, trotz allem wäre bei einem Feindkontakt nichts lebensbedrohliches passiert, aber der Eindruck, einem unberechenbaren Menschen ausgesetzt zu sein, war alles andere als schön. Um dieses Gefühl so schnell wie möglich loszuwerden, bremste ich kontrolliert ab - so stark, wie es gerade so ging, um den Fahrgästen trotz allem noch einen sanften Fahrstil zu bieten und das Gefühl zu vermitteln, total ruhig zu sein und die Sache im Griff zu haben.

Kaum hatte der Kraftfahrer des Monats seinen Sattelzug an mir vorbeigezogen, wechselte er wieder ohne weitere Anmoderation auf die Mitte zwischen den Spuren zurück, stieg unvermittelt in die Bremse und zwang mich und die anderen hinter mir auf knapp über 60 km/h hinunter.

Nochmal zum Mitschreiben: da brettert ein Wildgewordener von hinten an, presst sich mit Gewalt an einer gefährlichen Stelle ohne Rücksicht auf Verluste durch und bremst dann zwei Fahrspuren einer Schnellstraße aus. Mal ganz ehrlich: normal ist sowas doch nicht, oder?

Ich habe dann etwas getan, was ich höchst selten tue: ich habe gepetzt. Übers Handy die Polizei in den Freisprechkopfhörer geholt, das Kennzeichen des Aufliegers, Ort und Richtung und Vorfall durchgegeben. Nicht weil es mir Genugtuung verschafft, den Mann bestraft zu wissen (dafür sind die lächerlichen Strafen im deutschen Straßenverkehr ohnehin ungeeignet), sondern weil so jemand gestoppt gehört. Ohne eingebildet klingen zu wollen: wäre da nicht ich gefahren, sondern ein Führerscheinneuling oder ein unerfahrener Gelegenheitsfahrer, hätte es vielleicht einen schwereren Unfall gegeben, wenn derjenige aus Schreck in die Leitplanke gefahren wäre. Und auch im direkten Feindkontakt stelle ich mir das Unfallrisiko in einem x-beliebigen Kleinwagen größer vor als in einem relativ großen Omnibus.

Als der Polizist am anderen Ende der Leitung hörte, dass der Lkw ein ausländisches Kennzeichen hat (also die Verfolgung der Sache über die Grenze trotz aller Zusammenarbeit nicht so einfach ist wie im Lande), schickte er sofort eine Streife auf den Weg. Ob die ihn erwischt hat, weiß ich nicht, da der Lkw am Autobahnkreuz auf der Bundesstraße blieb, ich jedoch auf die A5 abbog.

Allerdings rief mich der Beamte eine halbe Stunde später zurück, fragte nach, ob ich mich genötigt gefühlt habe und bat mich, auf dem Revier eine präzisere Aussage zu machen. Ich denke also, dass die Streifenpolizisten den Fahrer angetroffen haben.

Morgen früh werde ich mich zur Aussage begeben, dann weiß ich vielleicht mehr.

Ich hoffe, solchen Spezialisten wie diesem Fahrer nicht mehr zu begegnen und wünsche euch, dass euch solche Begegnungen ebenfalls erspart bleiben.